In
den letzten dreißig Jahren ist eine höchst vielfältige,
interessante und
innovative Bewegung im Bereich der Bildung entstanden, besonders in
Großbritannien, Irland, Nordamerika, Australien und Ozeanien. Das
"Leben ohne
Schule" hat sich von seinen kleinen Anfängen bei den Reichen, den
Radikalen und
den geographisch Isolierten heute in vielen Ländern zu einem
offiziell
anerkannten Aspekt der Vielfalt im Bildungswesen entwickelt. Heutzutage
kennt
beinahe jeder jemanden, dessen Kinder aktuell nicht zur Schule gehen
oder in
den vergangenen Jahren zu Hause gelernt haben.
Bücher,
Zeitschriften, Webseiten, Internetgruppen, Interessenverbände,
informelle
Netzwerke und Lernmaterialien sind für jeden leicht
zugänglich. Die von den
frühen Pionieren empfundene Isolation ist nicht mehr präsent
und wir haben
heute eine florierende Gemeinschaft, die rasch wächst. Es gibt
noch viel zu erforschen
über die tägliche Praxis des Lebens ohne Schule, doch die
jüngsten Forschungsergebnisse
haben bereits gezeigt, dass wir eine
Menge lernen können, besonders hinsichtlich des individualisierten
Unterrichts
und flexiblerer Lernstile. […]
Eltern,
die ihr Kind von der Schule nehmen, tun dies oft Hals über Kopf.
Manchmal tritt
nach Jahren des Elends in der Schule eine Krise auf und es besteht
Anlaß
schnell zu handeln. In diesen Fällen genießen die Eltern
nicht den Luxus einer
ausgiebigen Vorbereitungphase auf das Leben ohne Schule. Mobbing ist
der Grund,
den Eltern am häufigsten angeben, wenn sie ein Kind aus der Schule
nehmen; in
den meisten Fällen sind die Kinder dabei die Opfer, in einigen
wenigen Fällen
aber auch die Täter. In einigen Fällen haben Kinder von
Selbstmord gesprochen,
andere haben gar einen Versuch unternommen, sich das Leben zu nehmen.
Einige
Kinder sind zutiefst unglücklich in der Schule und dies führt
zu
gesundheitlichen Problemen und Schulphobie. Manchmal haben Kinder mit
Handicaps
Schwierigkeiten in einer konventionellen Bildungsumgebung, und dies
kann zu
akuten Problemen führen.
In
anderen Fällen kann die Abmeldung von der Schule der Versuch sein,
eine
Situation in den Griff zu bekommen, in der das Kind akademisch
scheitert; einige
Kinder kommen nicht mit, während andere schon um Längen
weiter sind und nicht
genügend gefordert werden. Einige wenige Kinder erfahren selbst
von der
Möglichkeit des Lebens ohne Schule und bitten ihre Eltern, es
versuchen zu
dürfen.
Unabhängig
davon, aus welchem Grund sich Familien mit unbeschulten Kindern
für das Leben
ohne Schule entschieden haben, haben sie über Jahre hinweg
überall auf der Welt
bewiesen, dass es eine gute Alternative ist. [...] Die meisten von uns sind so an die Schule gewöhnt,
dass wir sie zumindest für eine wohlmeinende Institution halten,
und wir würden
nie auf die Idee kommen, dass sie die Rechte der Kinder
beeinträchtigt. Wenn
man aber einmal in jenem "anderen Land" des Lebens ohne Schule war,
sieht man
die Schule in einem anderen Licht. Wir sind nicht gegen die Schule,
aber unsere
Erfahrungen mit dem Leben ohne Schule haben uns einige der
Schwächen unseres
Schulsystems vor Augen geführt. Schuld an diesen
Unzulänglichkeiten sind nicht
einzelne Personen, und es sind so grundlegende Dinge, dass man sie
meist
akzeptiert ohne sie zu hinterfragen. Lassen Sie uns einmal genauer
hinsehen.
Nehmen
wir eine typische Schulstunde, wie sie jeden Tag stattfindet. Der
Lehrer stellt
eine Frage und die Kinder, die denken, dass sie die Antwort wissen,
melden
sich. Der Lehrer lässt sich dann die richtige Antwort sagen und
geht zur
nächsten über oder, falls die Antwort falsch war, nimmt ein
anderes Kind dran.
Das ist übliche Unterrichtspraxis im Klassenzimmer. Aber was ist
mit all den
anderen Kindern, die sich gemeldet hatten? Wenn sie die richtige
Antwort
wussten, haben sie keine persönliche Rückmeldung bekommen.
Wenn ihre Antwort
falsch war, hatten sie keine Gelegenheit, beim Lehrer nachzufragen, um
zu
Verständnis zu gelangen. Und ganz außen vor bleiben all
jene, die sich erst gar
nicht gemeldet hatten. In den Vorschuljahren können Kinder anderen
noch Fragen
stellen, sobald sie aber in die Schule kommen, wird ihnen dieses
natürliche und
grundlegende Lernmittel versagt. Was vor Schulbeginn ihr Recht war, ist
jetzt
nicht mehr im Angebot, und die Gelegenheit, Fragen zu stellen, nimmt
mit jedem
Schuljahr ab, weil die Anzahl der Schüler pro Lehrer dann steigt.
Hier
ist ein weiteres Beispiel. Der Lehrer gibt der Klasse eine
Übungsaufgabe. Die
Schüler können um Hilfe bitten, aber der Lehrer kann jedem
Kind nur wenig Zeit
widmen. Wenn der Lehrer nichts anderes tun würde, hätte er
ungefähr neun
Minuten pro Tag für jedes einzelne Kind. Mit anderen Worten,
obwohl das Kind
eigentlich von einem Erwachsenen lernen soll, lernt er oder sie in
Wirklichkeit
allein. Es gibt keine Gelegenheit für echte Interaktion. […]
Familien
mit unbeschulten Kindern haben einige signifikante Vorteile im
Vergleich mit
der Schule. Ihr Kind kann von der Einzelzuwendung und der
Flexibilität
profitieren, die das Lernen zu Hause mit sich bringt. Diese
Vorzüge kann ein
Lehrer im Klassenzimmer nicht bieten und Eltern unbeschulter Kinder
stellen
häufig fest, dass dadurch eine eventuell fehlende Qualifikation
mehr als
ausgeglichen wird. Dies soll keine Kritik an der Lehrerzunft sein, denn
Lehrer
müssen die wirklich schwierige Fähigkeit erlernen, das Lernen
von rund 30
Kindern mit unterschiedlichen Fähigkeiten in Einklang zu bringen.
Die Kinder im
Klassenzimmer sind vermutlich alle unterschiedlich motiviert und lernen
in
unterschiedlichem Tempo, aber der Lehrer muss sie alle zur gleichen
Zeit
unterrichten!
Die alleinige
Verantwortung für das Lernen seiner Kinder zu übernehmen, mag
einem zunächst
wie eine nicht zu bewältigende Aufgabe erscheinen, doch die
meisten Eltern
empfinden das Leben ohne Schule als sehr bereichernd, wenn sie sich
einmal
eingefunden haben. […] Wir können mit einiger, auf unserer
großen Erfahrung
basierender Sicherheit sagen, dass wir beinahe niemanden kennen, der es
bereut
hätte, seine Kinder zu Hause zu unterrichten, ob nun auf kurze
oder auf lange
Sicht.
©
Alan Thomas