Ich
habe festgestellt, dass es immens wichtig ist sicherzugehen, dass man
die
richtige Frage stellt, wenn man über etwas diskutiert. In diesem
Fall müssen
wir die Frage meiner Meinung nach anders formulieren. Sie sollte
vielmehr
lauten: „Kann ein Kind (oder auch jeder andere) lernen, ohne einen
kompetenten
und erfahrenen Lehrer an seiner Seite, der ihm Schritt für Schritt
den Weg
weist?“ Wenn wir es so betrachten, fallen uns allen sicherlich viele
Dinge ein,
die wir auf eigene Faust gelernt haben. So schreibe ich diesen Essay
beispielsweise auf unserem Familiencomputer. Ich habe den Titel in
einer
anderen Schriftgröße geschrieben, in Fettdruck und
unterstrichen. Ich kann
Emails versenden und empfangen. Ich
weiß, wie man
„im Internet surft“. Habe ich Computerkurse besucht? Nein. Nachdem
ich meine
Skepsis überwunden hatte und schließlich den Versuch gewagt
habe, habe ich
diese Dinge mehr oder weniger selbständig gelernt. Meine Kinder
haben mir auch
verschiedene Dinge am Computer gezeigt. Und das ist genau das, worauf
ich
hinaus will. Wie haben die Kinder es gelernt? Ich habe keine Ahnung,
aber ich
weiß, dass sie „Computerexperten“ sind. Sie haben viel mehr
Ahnung von
Computern als ich und sie wenden dieses Wissen täglich an.
Ein
weiteres Beispiel des unabhängigen Lernens (das schließlich
unser Ziel sein
sollte) ist der Wunsch meiner Tochter Italienisch zu lernen. Eines
Abends, als
ich mich fertig machte, um schlafen zu gehen, sah ich Licht in Lisas
Zimmer und
ging hinein, um ihr „Gute Nacht“ zu sagen. Sie las in einem
italienischen
Wörterbuch! (Sie wundern sich vielleicht, warum wir überhaupt
ein italienisches
Wörterbuch besitzen, aber das ist eine andere Geschichte. Um es
kurz zu machen:
ich bin der Ansicht, dass man VIELE unterschiedliche Materialien im
Hause haben
sollte, einfach für den Fall, dass eines der Kinder ein
plötzliches Interesse
für etwas entwickeln sollte.) Ich fragte, warum sie darin las, und
sie sagte,
sie hätte beschlossen Italienisch zu lernen. Ich hatte ein teueres
Französischkurspaket erstanden, das jetzt irgendwo im Schrank
verstaubte. In
der Schule und auf dem College hatte ich mehrere Jahre Französisch
belegt. Man
könnte also berechtigterweise erwarten, dass ich meinen Kindern
helfen könnte
Französisch zu lernen. Aber Italienisch?! Nun ja, ich dachte, das
sei eine vorübergehende
Laune meiner Tochter, und wenn nicht, dann würde ich ihr einen
Italienisch-Lehrkurs besorgen. Ich vergaß das Ganze bis zum
nächsten Nachmittag
als sie mir erzählte, sie hätte einen kostenlosen
Italienisch-Kurs im Internet
gefunden und sich eingeschrieben. Auf die Idee, nach so etwas zu
suchen, wäre
ich nie gekommen, sie aber offensichtlich schon. Einige Monate sind
seitdem
vergangen und sie hat viel Spaß an den Lektionen. Sie schreibt
Emails an ihre
Lehrerin, wenn sie eine Frage hat und erhält immer eine prompte
Antwort. Die
Lehrerin hat auch ein Buch- und CD-Set entwickelt, das über das
Internet-Angebot hinaus gehende Lektionen anbietet. Wir haben es
gekauft und
Lisa lernt weiterhin Italienisch, ohne meine Hilfe. Dies hat auch ihr
Interesse
an Italien geweckt, also haben wir uns ein Video über das Land
angesehen, und
ich halte ständig Ausschau nach interessanten Büchern
über Italien.
Ich
könnte von vielen anderen Dingen schreiben, die meine Kinder auf
eigene Faust
gelernt haben oder unter Anleitung einer anderen Person, nicht von mir.
Klavier, Geige, Tennis, Fußball, Reiten, Ölmalerei, Erst
Hilfe, Latein,
Computer, Gebärdensprache, Unmengen von Katen aus der Musikwelt,
Informationen
aus der Sportwelt (sehr hilfreich für „Trivial Pursuit“), Schach
und andere
Dinge, zu viel zum Aufzählen. Wenn meine Kinder nur die Dinge
wüssten, die ich
ihnen explizit beigebracht habe, wären die eben erwähnten
Dinge alle nicht Teil
ihres Lebens.
Es
gibt viele Arten zu lernen. Einen erfahrenen und kompetenten Lehrer mit
einer
Leidenschaft für sein Fach zu haben, ist eine wunderbare Methode,
bestimmte
Dinge zu lernen. Muss dieser Lehrer in Besitz einer Lehrbefähigung
sein und
sein Wissen einem ganzen Klassenraum voller Kinder vermitteln, um
effektiv zu
sein? Nein. Meine Kinder haben einige wundervolle Dinge von Menschen
gelernt,
die das Unterrichten niemals gelernt haben. Genauso ist es
möglich, viele Dinge
vollkommen eigenständig zu lernen, mit wenig oder gar ganz ohne
Unterstützung
eines anderen. Die Gemeinschaft der Familien mit unbeschulten Kindern
hat
wunderbare Arbeit geleistet und ausgezeichnete Lernmaterialien
hervorgebracht,
die es Schülern ermöglichen, sich alles, angefangen von der
Algebra bis hin zu
Zoologie, selbst anzueignen. Und vergessen wir nicht den Reichtum an
Informationen, der uns in öffentlichen Bibliotheken oder im
Internet zur
Verfügung steht.
Eine
der Schwierigkeiten, die es im Leben ohne Schule zu meistern gilt, ist,
unsere
vorgefassten Vorstellungen über Bord zu werfen, was Lernen und
Lehren bedeutet.
So gut wie alle Eltern unbeschulter Kinder haben öffentliche oder
private
Schulen besucht. Wir sind konditioniert zu glauben, dass Lernen von
August/September bis Mai/Juni, Montag bis Freitag, von 9 bis 15 Uhr
stattfindet, während man mit 20 oder mehr Altersgenossen am Pult
sitzt, mit
einem ausgebildeten Lehrer am Ruder, der gekonnt verschiedene
Lernaktivitäten koordiniert.
Wenn wir dieses Bild nicht hinter uns lassen können, ist schon
vorprogrammiert,
dass wir eine “Schule zuhause” erschaffen werden. Viele Familien mit
unbeschulten Kindern tun genau das. Die Medien lieben es, Familien mit
unbeschulten Kindern auf eine solche Weise zu präsentieren, dass
sich die
Zuschauer ausmalen, es gäbe einen Familienraum mit Pulten an der
Wand
aufgereiht, ordentlich gekleidete Kinder, die eifrig
Arbeitsblätter ausfüllen,
und eine Mutter, die vor der kleinen Wandtafel steht und unterrichtet.
Einige
Familien, deren Kinder keine Schule besuchen, passen tatsächlich
in dieses
Bild. Zum großen Teil leisten sie gute Arbeit darin, ihren
Kindern zu einer
Bildung zu verhelfen. Dennoch ist dies nicht das einzige korrekte
Porträt des
Lebens ohne Schule. Einige von uns haben versucht, diese übliche
Sichtweise des
Lernens hinter sich zu lassen, und beobachten, wie unsere Kinder die
Welt
erforschen. Wir versuchen uns vor Augen zu führen, dass unsere
Kinder ohne
spezielle “Lauf- und Sprechkurse” Laufen und Sprechen gelernt haben
(zwei sehr
komplexe Vorgänge). Wir unternehmen den Versuch, Notiz von dem
Lernen zu
nehmen, das in einer Familie mit geschäftigen und neugierigen
Kindern pausenlos
stattfindet. Wir entdecken, dass Gott uns dazu erschaffen hat, das
Lernen zu
lieben. Wir entdecken die Freude am Lernen in uns selbst wieder und
teilen sie
mit unseren Kindern. Wir bringen unseren Kindern bei, WIE man lernt,
anstatt zu
versuchen, ihre Köpfe mit Fakten voll zu stopfen. Wir erziehen
unsere Kinder zu
selbständig Lernenden, die auch mal über das Gewohnte hinaus
denken können.
© Copyright Deanna Piercy