Eltern "entschulen": Lernen zu vertrauen
von Jan Hunt

Für Eltern ist es nur natürlich, dass sie sich unsicher und nicht ganz wohl bei der Sache fühlen, wenn sie für ihre Kinder einen anderen Weg wählen, als den, den sie selbst beschritten haben. Jene von uns, die sich für den Weg des selbstgesteuerten Lernen entscheiden, müssen - selbst wenn wir überzeugt sind, dass dies der beste Weg für unsere Kinder ist - notwendigerweise einen Weg finden, wie wir die wohlgemeinten, aber unzutreffenden Prämissen über das Lernen aus unseren Köpfen bekommen, die uns über viel Jahre in der Schule eingeimpft wurden. Wir müssen auch die natürliche Liebe zum Lernen wiederaufleben lassen, mit der wir geboren wurden.

Den meisten von uns wurde in der Schule beigebracht, einen falsche Widerspruch zwischen "Lernen" und "Spaß" zu sehen. Wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass "pädagogisch wertvoll" keinen Spaß machen kann, und wenn etwas Spaß macht, kann es kein Lernen sein! Ein Kind, das von Anfang an selbstgesteuert ist, wie mein Sohn Jason es war, genießt das Leben frei von solchen Vorurteilen und erlebt weiterhin alles Lernen als wundervolle und lohnende Erfahrung. Im Gegensatz dazu gehen Schulen von der sich davon radikal unterscheidenden Prämisse aus, dass dem Kind eine bestimmte Entwicklung durch verschiedene Arten von Zwang, Manipulation, äußerlichen Belohnungen und Strafen von außen aufgezwungen werden kann, und dass es eindeutige Meilensteine gibt, die das Kind zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht haben muss, andernfalls würde es nie wieder "aufholen" können. (Man muss fragen, wen es einholen soll, und warum?) Dies sind falsche Prämissen, aber es kann schwierig sein, sich davon zu lösen, wenn sie so tief in unserem eigenen Lernprozess verwurzelt sind.

Während diese Einsicht für Jason selbstverständlich ist, musste ich erst viele falsche Prämissen "verlernen". In diesem Sinne war Jason mein Lehrer, der mich ständig daran erinnerte, dass sich Lernen nicht auf Lesen, Schreiben und Rechnen beschränkt und dass es nicht von einem bestimmten Ort, von einer speziellen Tageszeit und selbst nicht von der Anwesenheit eines "Lehrers" abhängig ist.

In gewisser Hinsicht sind wir eine Generation mit einer sehr schwierigen Aufgabe, weil wir einen vollkommen neuen Weg bahnen und neue Einsichten gewinnen. Selbstgesteuertes Lernen dürfte viel einfacher sein, wenn junge Leute, die selbst keine Schule besucht haben, diesen Weg für ihre eigenen Kinder wählen. Für sie wäre selbstgesteuertes Lernen die Norm, und sie müssten nicht so viele wohlgemeinte, aber schädlichen Konzepte aus ihren Köpfen bekommen und neue erlernen. Sie werden ein wesentlich einfacheres und echtes Verständnis haben: Kinder entwickeln sich in ihrem eigenen natürlichen Tempo und wir brauchen einfach – wie der Gärtner im Umgang mit seinen Blumen – ihren einzigartigen eingebauten Entwicklungsplänen zu vertrauen.

Um wirklich realistische Informationen über Entwicklungszeiten zu erhalten, brauchen wir uns nur auf unser Kind verlassen und sonst auf niemanden. So wie wir einer Rose vertrauen, dass sie zur rechten Zeit blühen wird, so sollten wir auch von Kindern erwarten, dass sie in ihrer eigenen Weise aufblühen, wenn ihre Zeit gekommen ist. Ein Kind hat so viel Zeit aufzuwachsen! Ob er oder sie mit drei Jahren liest, oder mit sechs, oder sogar erst mit 12 – was für einen Unterschied macht das wirklich auf lange Sicht hin? Doch weil wir beinahe alle jahrelang zur Schule gegangen sind, braucht es seine Zeit, solche Einsichten zu begreifen, und alle Eltern, die an das selbstgesteuerte Lernen glauben, haben vermutlich dennoch gelegentlich Gefühle der Einschüchterung oder der Unsicherheit verspürt.

Jason ist jetzt 22. Wenn ich über die Jahre hinweg zurückblicke, sehe ich freudiges, enthusiastisches Lernen, und ich war privilegiert, daran teilzuhaben zu dürfen. Es war eine erfreuliche Erfahrung, die nicht weiter entfernt sein konnte von den sechs Stunden Plackerei, die ich mir ausgemalt hatte! Jason lernt nicht nur viele Dinge mit Freude, er sieht Lernen auch als interessanten, integralen Bestandteil des gesamten Lebens an, nicht als eine separate Aktivität, die sich auf spezielle Orte, Tage oder Zeiten beschränkt. Er lernt noch immer und wird immer lernen. Für Jason war dieser Weg viel mehr als nur eine Alternative zum formellen Schulunterricht; diese Erfahrung hat ihn darauf vorbereitet, ein Leben voller Neugierde und Verwunderung zu leben.

Ja, diese Art der Bildung verlangt Eltern, die in ihrer Kindheit eine Schule besucht haben, einen Vertrauensvorschuss ab. Aber von meiner eigenen Erfahrung zu urteilen, lohnt es sich, diesen Schritt zu wagen, der zu einem lebenswerten Leben führen kann (wie in dem Titel eines der fesselndsten Bücher John Holts A Life Worth Living anklingt). Wir müssen diesen Sprung jedoch nicht allein wagen. Freunde, Gruppen, Bücher, Artikel und Web-Seiten können sehr aufschlussreich sein. Vor allem aber können wir unserem Kind erlauben, uns zu zeigen, wie erfreulich und natürlich Lernen vonstatten gehen kann. Für die Anleitung zum selbstgesteuerten Lernen sind unsere Kinder die beste Quelle der Ermutigung, der Inspiration und der Bestätigung, die wir finden können.
 

© Copyright Jan Hunt
 

Ursprünglich veröffentlicht in "Life Learning : the International Magazine of Self-Directed Learning", Juli/August 2003, ISSN 1499-7533, S. 21-22.

Aus dem Amerikanischen übertragen von S. Mohsennia.