Auszüge aus den Werken von John Holt


… Kinder lernen von Natur aus.
Das einzige, worüber wir sicher sein können, absolut sicher, ist, dass Kinder den leidenschaftlichen Wunsch haben, so viel wie   
möglich von der Welt zu verstehen, selbst was sie nicht sehen oder anfassen können, und dass sie so weit wir möglich Fertigkeiten, Kompetenz und Kontrolle in ihr und über sie erlangen wollen. Dieser Wunsch, dieses Bedürfnis, die Welt zu verstehen und Dinge in ihr tun zu können, die Dinge, die große Leute tun, ist so stark, dass wir es regelrecht biologisch nennen können. Es ist in jeder Hinsicht so stark wie das Bedürfnis nach Nahrung, Wärme, Schutz, Trost, Schlaf und Liebe.
Aus: Teach your own, 1981, S. 159

… Kinder sind von Natur aus pfiffig, voller Energie, neugierig, begierig zu lernen, und sie sind gut im Lernen; ... sie brauchen nicht bestochen oder drangsaliert werden, um zu lernen: ... sie lernen am besten, wenn sie glücklich, aktiv, involviert und daran interessiert sind, was sie tun; ... sie lernen am wenigsten, oder gar nicht, wenn sie gelangweilt sind, bedroht oder erniedrigt werden oder wenn sie Angst haben.
Aus: Freedom and beyond, 1972, S. 2
 

Die einfach zu beobachtende Tatsache ist, dass Kinder mit Leidenschaft begierig sind, sich so viel wie möglich über die Welt um sie herum zusammenzureimen, dass sie darin extrem gut sind, und dass sie es wie Wissenschaftler tun, indem sie Wissen aus Erfahrung erzeugen. Kinder beobachten, stellen sich selbst Fragen und finden Antworten oder geben sich welche und testen diese. Wenn sie nicht davon abgehalten werden, diese Dinge zu tun, fahren sie damit fort und werden immer besser darin.
Aus: Teach your own, 1981, S. 152
 

Echtes Lernen ist ein Prozess der Entdeckung, und wenn wir wollen, dass es stattfinden, müssen wir die Art von Voraussetzungen schaffen, unter denen Entdeckungen gemacht werden können. Wir wissen, welche Voraussetzungen dies sind. Dazu gehören Zeit, Muße, Freiheit und das Ausbleiben von Druck.
Aus: Teach your own, 1981, S. 100
 

Echtes Lernen – Lernen, das permanent und sinnvoll ist, dass zu intelligenten Aktionen und weiterem Lernen führt – kann nur aus der Erfahrung und dem Interesse des Lernenden hervorgehen.
Jedes Kind, ohne Ausnahme, hat einen angeborenen und unlöschbaren Drang, die Welt zu verstehen, in der es lebt, und Freiheit und Kompetenz in ihr zu erlangen. Was auch immer wirklich sein Verständnis stärkt, seine Fähigkeit zu wachsen und Freude zu empfinden, seine Kräfte, seinen Sinn für seine eigene Freiheit, Würde und seinen Wert, kann als echte Bildung bezeichnet werden.
Bildung ist etwas, dass eine Person für sich selbst erwirbt, nicht, was ein anderer ihm gibt und ihm antut.
Was junge Menschen brauchen und von ihrer Bildung erwarten ist: 1. ein größeres Verständnis der Welt um sie herum; 2. eine weitere Entwicklung ihrer selbst; 3. eine Möglichkeit, ihre Aufgabe zu finden, d.h. einen Weg zu finden, wie sie ihren eigenen einzigartigen Talente einsetzen können, um sich mit den wirklichen Problemen der Welt um sie herum auseinander zu setzen und der Menschheit zu dienen.
Aus: The underachieving school, 1970, S. 3/4
 

Echte Bildung verlangt von uns … Vertrauen und Mut – Vertrauen darin, dass Kinder sich das Leben ergründen wollen und sich dabei anstrengen werden; Mut, Kinder dies tun zu lassen, ohne ständig zu stochern, herumzuschnüffeln, zu stupsen und uns einzumischen.
Aus: The underachieving school, 1970, S. 70
 

Ein kleines Kind wird konfrontiert mit einer Welt, die im Großen und Ganzen, völlig unverständlich ist, nur ein "blühendes, surrendes Durcheinander". Aber es hat keine Angst vor diesem Durcheinander. ... Es ist nicht nur fähig, sondern auch begierig, sich in diese Welt auszustrecken, die für es keinen Sinn ergibt, und sie aufzunehmen. ... Es ist bereit, Differenzen hinzunehmen, eine Beurteilung aufzuschieben, und zu warten, bis sich Muster abzeichnen, bis ihm die Erleuchtung kommt. Ich glaube, Kinder lernen eher durch einen Prozess der kontinuierlichen Enthüllung als durch Analyse. Und tatsächlich sind die traditionellen Methoden des analytischen Denkens nutzlos, um Situationen von enormer Komplexität zu begegnen. Wenn man hundert Variablen hat, von denen keine unter genauer Kontrolle ist, wie kann man dann durch systematische, analytische Prozesse das Ganze organisieren? Das ist unmöglich, und die enorme Stärke des kindlichen Denkens liegt in der Tatsache, dass sie nicht versuchen, dies zu tun. Sie begegnen, ja sie ziehen freudig und eifrig aus in dieses außergewöhnliche Durcheinander, in den Zweifel und die Unsicherheit. Sie nehmen es auf und warten, bis sich die Muster und Ähnlichkeiten und Regelmäßigkeiten dieser Welt abzeichnen. Das kleine Kind tut ständig, was für uns so schwierig ist und was wir erst lernen müssen. Das kleine Kind erbaut beständig was ich gerne ein mentales Modell der Welt oder der Universums nenne, gleicht es mit der Realität ab, wie sie sich ihm präsentiert, zerstört es und baut es wieder auf, wenn nötig, und gleicht es wieder ab, zerstört es, baut wieder auf, gleicht erneut ab. Es durchläuft diesen Prozess ich weiß nicht wie oft pro Jahr oder gar pro Tag, und es fürchtet sich nicht, dies zu tun.
Aus: The underachieving school, 1970, S. 178
 

Es ist immer, ohne Ausnahme, besser für ein Kind, etwas selbst herauszufinden als etwas gesagt zu bekommen – vorausgesetzt natürlich, wie in dem Fall, wenn es einfach über die Straße rennt, dass sein Leben bei dem Lernprozess nicht in Gefahr ist. Aber bei intellektuellen Angelegenheiten dulde ich keine Ausnahmen von dieser Regel. Erstens wird es sich besser erinnern, wenn es etwas selbst herausfindet. Zweitens, und das ist bei weitem wichtiger, gewinnt es jedes Mal, wenn es etwas herausfindet, an Vertrauen in seine Fähigkeiten, Dinge herauszufinden.
Aus: Teach your own, 1981, S. 138
 

Was Erwachsene für Kinder tun können, ist, ihnen mehr und mehr von dieser Welt und den Menschen in ihr zugänglich und transparent zu machen. Das Schlüsselwort ist Zugang: zu Menschen, Orten, Erfahrungen, den Orten, an denen wir arbeiten, zu anderen Orten, wohin wir gehen – Städte, Länder, Strassen, Gebäude. Wir können auch Werkzeuge, Bücher, Aufnahmen, Spielzeuge und andere Quellen verfügbar machen. Insgesamt sind Kinder mehr an Dingen interessiert, die Erwachsene wirklich benutzen als an den kleinen Sachen, die wir speziell für sie kaufen.
Aus: Teach your own, 1981, S. 127
 

Mein Rat ist immer, die Interessen und Neigungen von Kindern bestimmen zu lassen, was passiert, und Kindern so viel Zugang wie möglich zum Leben ihrer Eltern und zu der Welt um sie herum zu verschaffen, entsprechend Ihren eigenen Umständen, damit die Kinder die größtmögliche Bandbreite von Dingen haben, die betrachten man kann und über die man nachdenken kann. Schauen Sie, welche Dinge sie am meisten interessieren, und helfen Sie ihnen, diesen speziellen Weg einzuschlagen.
Aus: A conversation with John Holt (1980), published in “Mothering”
 

Kinder haben ihren eigenen Lernstil, jeder für sich einzigartig. Sie haben ebenso ihren eigenen Zeitplan, wann sie bereit sind, Dinge zu tun, ihr eigenes Tempo, mit dem sie sie tun wollen, und Zeit, die sie warten wollen, bevor sie etwas Neues beginnen. Wenn wir versuchen, diese Lernstile und Zeitpläne zu steuern oder zu beeinflussen oder zu ändern, erreichen wir fast immer, dass sie ihr Tempo verringern oder stoppen sie.
Aus: Learning all the time, 1989, S. 133
 

Das Problem mit dem Ausdruck “Lernerfahrungen” ist, dass er beinhaltet, dass alle Erfahrungen ist zwei Kategorien eingeteilt werden können, die, von denen wir etwas lernen, und die, von denen wir nichts lernen. Aber es gibt keine Erfahrungen, von denen wir nichts lernen. Wir lernen etwas, von allem, was wir tun, und von allem, was uns passiert oder was man mit uns macht. Was wir lernen, macht uns vielleicht schlauer oder unwissender, klüger oder dümmer, stärker oder schwächer, aber wir lernen immer etwas. Was es ist, hängt von der Erfahrung ab, und vor allem, was wir dabei fühlen.
Aus: Instead of education, 1976, S. 15/16
 

Kinder lernen von allem, was sie sehen. Sie lernen, wo auch immer sie sind, nicht nur an speziellen Lernorten. Sie lernen viel mehr von Dingen, natürlich oder hergestellt, die für sich genommen wirklich und bedeutsam in der Welt sind, und nicht einzig zu dem Zweck hergestellt, Kinder beim Lernen zu unterstützen; mit anderen Worten, sie interessieren sich mehr für Objekte und Werkzeuge, die wir im regulären Leben benutzen als für beinahe alle speziellen Lernmaterialien, die für sie hergestellt werden. Wir können Kinder am besten beim Lernen unterstützen, nicht indem wir entscheiden, was sie unserer Meinung nach lernen sollten, und indem uns wir geniale Wege ausdenken, ihnen dies beizubringen, sondern indem wir ihnen die Welt, soweit wir können, zugänglich machen, ihren Aktivitäten ernsthafte Aufmerksamkeit schenken, ihre Fragen beantworten – wenn sie welche haben – und ihnen helfen, die Dinge zu erforschen, die sie am meisten interessieren.
Aus: Learning all the time, 1989, S. 162
 

Ich will nicht, dass Kinder ihre gesamte Zeit an Orten verbringen müssen, die speziell für Kinder vorbereitet wurden, mit Menschen, die speziell ausgebildet sind, um sich um sie zu kümmern, unabhängig davon, wie nett diese Orte und Menschen sein mögen. Kinder brauchen viel mehr als das – eine Gesellschaft, die offen, zugänglich, sichtbar für all ihre Bürger ist, jung und alt, und in der jeder Bürger, wie jung oder alt auch immer er sein mag, das Recht hat, eine aktive, ernsthafte, verantwortliche und nützliche Rolle zu spielen.
Aus: Instead of education, 1976, S. 137
 

Es ist eine erst vor kurzem aufgekommene Vorstellung, und eine verrückte noch dazu, dass wir unseren jungen Menschen etwas über die Welt, in der sie leben, beibringen sollten, indem wir sie aus ihr entfernen und sie in Ziegelsteinkästen einsperren.
Aus: The underachieving school, 1970, S. 30
 

Stellen Sie sich vor, ich reise mit einer Zeitkapsel in die Zukunft und komme schließlich fünfhundert Jahre von hier in einer intelligenten, das Leben verbessernden und verfeinerten
Zivilisation an. Einer der Bewohner kommt mir zur Begrüßung entgegen, führt mich herum und erklärt mir seine Gesellschaft. Irgendwann, nachdem er mir gezeigt hat, wo die Leute
wohnen, arbeiten, spielen, frage ich ihn: „Aber wo sind denn Ihre Schulen?“
“Schulen? Was sind Schulen?“ erwidert er.
“Schulen sind Orte, wo die Menschen hingehen, um etwas zu lernen.“
“Ich verstehe nicht“, sagt er, „man kann überall lernen, an jedem Ort.“
“Das weiß ich“, sage ich, „aber eine Schule ist ein besonderer Ort mit speziellen Menschen, die einem Dinge beibringen und die einem helfen, Dinge zu lernen.“
“Es tut mir leid, aber ich verstehe immer noch nicht. Jeder hilft anderen, Dinge zu lernen. Jeder, der etwas weiß oder kann, kann einem anderen helfen, der mehr darüber lernen will.
Warum sollte es dafür spezielle Menschen geben?“
Und so sehr ich mich auch bemühe, ich kann ihm nicht klarmachen, warum wir meinen, dass Bildung und Lernen vom restlichen Leben getrennt sein sollte, ja getrennt sein muss.
Aus: Freedom and beyond, 1972, S. 117
 

… es kommt häufig vor, dass jemand sagt, normalerweise mit erboster Stimme: “Lernen kann nicht immer Spaß machen!“ (Was sie normalerweise damit meinen ist “Lernen kann nie Spaß machen, sonst ist es nicht wirklich Lernen.“) Das ist ein großer Irrtum. Dinge herauszufinden, Probleme zu lösen, macht genauso viel Spaß wie andere Dinge, die wir Menschen tun. Was Vergnügen und Aufregung angeht, gibt es fast nichts, das besser ist, und wenige Dinge sind ebenbürtig.
Aus: Teach your own, 1981, S. 83
 

Ich mag es, wenn meine Freunde mir von Sachen erzählen, die sie interessieren und über die ich nichts weiß – das ist Teil jeder guten Unterhaltung. Ich bin jedoch nicht gerne mit Menschen zusammen, die sich so verhalten und so reden als sei es ihre Lebensaufgabe, mich zu bilden, deren Verhältnis zu mir immer das eines Lehrers zu einem Schüler ist. Wenn Ihre Kinder klein genug sind, ist beinahe alles, was Sie sagen, faszinierend. Aber wenn sie etwas älter werden, werden sie sehr bewusst wahrnehmen, wie Sie mit erwachsenen Freunden reden, und sie werden es nicht mögen, wenn Sie eine Art haben, um mit Freunden zu sprechen, und eine andere, eher lehrerhafte Art, wenn Sie mit den Kindern sprechen.
Aus: Teach your own, 1981, S. 146
 

Unerbetenes Lehren führt nicht nur nicht zu Lernen, sondern – und das war noch schwerer für mich zu lernen – meistens verhindert solches Lehren sogar das Lernen. Nun das war ein großer Schock. In 99% der Fälle hat Unterricht, um den nicht gebeten wurde, kein Lernen zur Folge, sondern er wird das Lernen verhindern.
Aus: Teach your own, 1981, S. 128
 

Jedes Mal, wenn wir versuchen, jemand anderem etwas beizubringen, ohne dass wir dazu aufgefordert oder darum gebeten wurden, übermitteln wir dieser Person, ob wir es wissen oder nicht, eine doppelte Botschaft. Der erste Teil der Botschaft ist: ich bringe Dir etwas Wichtiges bei, aber Du bist nicht schlau genug, zu sehen, wie wichtig es ist. Wenn ich es Dir nicht beibringen würde, würdest Du Dir wahrscheinlich nie die Mühe machen, es herauszufinden. Die zweite Botschaft, die unaufgefordertes Lehren der anderen Person übermittelt, ist: was ich Dir beibringe ist so schwierig, das Du es niemals lernen könntest, wenn ich es Dir nicht beibringen würde.
Diese doppelte Botschaft von Misstrauen und Geringschätzung wird sehr deutlich von Kindern verstanden, weil sie außerordentlich gut im Empfangen von emotionalen Botschaften sind. Es macht sie wütend. Und warum sollte es auch nicht? Alles unaufgeforderte Lehren enthält diese Botschaft von Misstrauen und Geringschätzung.
Aus: Teach your own, 1981, S. 129
 

… die Idee des Renaissance-Menschen, der einen signifikanten Teil des Weltwissens in seinem Geist umfasst, ist hinfällig. Dies ist nicht möglich. Wir können nur einen winzigen Teil der Summe der menschlichen Wissens beherrschen. Wir alle sind, unabhängig davon, wie hart wir arbeiten, unabhängig davon, wie neugierig wir sind, dazu verurteilt, relativ gesehen täglich unwissender zu werden, immer weniger von der Summe des gesamten Wissens zu kennen.
Aus: The underachieving school, 1970, S. 174/175
 

Die Erwachsenen sagen: “Und was ist, wenn sie etwas nicht lernen, was sie später brauchen werden?” Die Zeit, etwas zu lernen, ist in dem Moment, wo man es braucht; niemand kann wissen, was er in Zukunft wird lernen müssen; ein Großteil des Wissens, das wir in 20 Jahren brauchen werden, existiert heute vielleicht noch gar nicht.
Aus: The underachieving school, 1970, S. 33/34
 

Selbstverständlich weiß ein Kind vielleicht nicht, welches Wissen es in zehn Jahren brauchen wird (wer weiß das schon?), aber es weiß, und wesentlich besser als irgendjemand sonst, was es jetzt wissen möchte und muss, wofür es aufnahmebereit ist und wonach sein Verstand strebt. Wenn wir ihm helfen, oder ihm nur erlauben, dies zu lernen, wird er es behalten, es benutzen und darauf aufbauen können. Wenn wir versuchen, ihm etwas anderes beizubringen, von dem wir glauben, dass es wichtiger ist, sind die Chancen groß, dass es nichts lernen wird, oder nur einen kleinen Bruchteil, dass es bald das meiste vergessen wird, was es gelernt hat, und was am schlimmsten ist: es wird binnen kurzem den Appetit verlieren, irgendetwas zu lernen.
Aus: Teach your own, 1981, S. 60
 

Manchmal werde ich gefragt, oft von Menschen, die eine naturwissenschaftliche Ausbildung haben: “Verlangen Sie nicht von jedem Kind, dass es das Rad aufs Neue erfindet?“ Das letzte Mal, als mir diese Frage gestellt wurde, was ich in einer High School in Connecticut, und das Mann, mit dem ich sprach, und ich standen in der Eingangshalle der Schule und schauten durch große Glastüren auf den Schulparkplatz hinaus, in dem ungefähr 50 Fahrzeuge mit jeweils vier sichtbaren Rädern standen. Ich zeigte nach draußen und sagte: „Sie brauchen das Rad nicht zu erfinden, es ist schon erfunden worden, es ist dort draußen, sie werden es bemerken.“ Welche Regelmäßigkeiten, Muster, Strukturen und so weiter auch immer in unserer Gesellschaft existieren, können und werden von den Menschen, die in ihr leben entdeckt werden.
Aus: The underachieving school, 1970, S. 190
 

Über das Üben
Ich finde, wir sollte das Wort abschaffen. Es macht nur Schwierigkeiten. Ein Vater hat mir einmal erzählt, dass seine Tochter gerne Geige spielt, aber sie hasst das Üben. Warum müssen wir von “Üben“ sprechen? Warum sprechen wir nicht einfach von Geige spielen?
Aus: Learning all the time, 1989, S. 111
 

Ein weitere verbreitete und irrige Auffassung, die sich in dem Wort “Lernen“ versteckt, ist, dass Lernen und Tun unterschiedliche Tätigkeiten sind. So begann ich vor wenigen Jahren, Cello zu spielen. Ich lieve das Instrument, verbringe viele Stunden damit, es zu spiele, arbeite hart daran und beabsichtige, es irgendwann gut zu beherrschen. Die meisten Leute würden das, was ich tun, als “Cello spielen lernen“ bezeichnen. Unsere Sprache bietet uns keine anderen Worte an, dies auszudrücken. Aber diese Worte vermitteln uns den seltsamen Eindruck, dass hier zwei unterschiedliche Prozesse ablaufen: (1) Cello spielen lernen; und (2) Cello spielen. Sie implizieren, dass ich zunächst das eine tun werde, bis ich es abgeschlossen habe. Zu diesem Zeitpunkt endet der erste Prozess und das zweite beginnt. Kurz gesagt, ich werde so lange “spielen lernen“ bis ich “spielen gelernt habe“, und dann kann ich anfangen “zu spielen“.
Natürlich ist das Unsinn. Es gibt keine zwei Prozesse, sondern nur einen. Wir lernen, etwas zu tun, indem wir es tun. Es gibt keinen anderen Weg. Wenn wir anfangen, etwas zu tun, werden wir es vermutlich nicht gut tun. Aber wenn wir nicht aufhören, es zu tun, wenn uns gute Vorbilder und im Bedarfsfall hilfreicher Rat zur Verfügung stehen, und wenn wir es immer so gut tun, wie wir können, dann werden wir besser. Mit der Zeit werden wir es eventuell sehr gut tun. Dieser Prozess endet nie. Die besten Musiker, Tänzer, Athleten, chirurgen, Piloten, oder was auch immer sie tun, müssen permanent ihre Kunst bzw. ihr Handwerk trainieren. Musiker spielen jeden Tag ihre Tonleitern, Tänzer trainieren an der Stange, und so weiter. Ein Chirurg, den ich kannte, machte von Zeit zu Zeit, wenn er nichts zu tun hatte, einhändig Knoten in chirurgisches Garn ohne hinzuschauen, nur um nicht aus der Übung zu kommen. In diesem Sinnen hört man nie auf zu “lernen, etwas zu tun“, selbst wenn man es kann und unabhängig davon, wie gut man es kann. Man muss jeden Tag “lernen“, es so gut zu tun, wie man kann, oder man wird es bald weniger gut tun. Der 1. Flötist des Bostoner Symphonyorchesters unter Koussevitsky pflegte zu sagen: “Wenn ich einen Tag nicht zur Probe komme, höre ich den Unterschied; wenn ich zwei Tage die Probe verpasse, hört es der Dirigent; wenn ich sie drei Tag verpasse, hört das Publikum den Unterschied.“
Aus: Instead of education, 1976, S. 17/18
 

Junge Menschen lernen nicht, wie (zum Beispiel) Töpferwaren hergestellt werden, indem sie darüber lesen, sondern indem sie töpfern. Keine Frage. Aber in der Schule zu töpfern nur damit man lernt, wie es geht, ist gar nichts im Vergleich dazu, Töpferwaren herzustellen (und es dabei zu lernen), weil jemand diese Töpferwaren braucht. Der beste Anreiz zu lernen, wie man eine Arbeit gut verrichtet, und dies auch zu tun, ist zu wissen, dass diese Arbeit getan werden muss, dass sie von echtem Nutzen für jemanden sein wird.
Aus: Teach your own, 1981, S. 74
 

… Kinder bewegen sich in großen Sprüngen in die Welt hinein, Phasen der Entdeckung und der Aktivität wechseln sich ab mit langen Perioden der Besinnung.
Aus: Instead of education, 1976, S. 105
 

Was Freunde angeht – Sie werden Ihre Kinder nicht zu Hause einschließen. Ich denke, dass es um ein Zehnfaches wahrscheinlicher ist, dass die sozialisierenden Aspekte der Schule Schaden anrichten, als dass sie hilfreich sind. Die menschlichen Tugenden – Freundlichkeit, Geduld, Großzügigkeit, etc. lernen Kinder in engen Beziehungen, vielleicht in Gruppen von zwei oder drei. Insgesamt verhalten sich Menschen in großen Gruppen, wie man sie in der Schule vorfindet, schlechter. Sie lernen dort etwas anderes – Popularität, Konformismus, Schikanieren, Hänseln, solche Dinge. Sie können nach Schulschluss Freunde finden, im Urlaub, in der Bücherei, in der Kirche.
Aus: A conversation with John Holt (1980), veröffentlicht in “Mothering”


Bibliographie

How children fail (1964; überarbeitete Ausgabe 1982)
deutsche Ausgabe u.d.T.: Chancen für unsere Schulversager (1969) und Aus schlauen Kindern werden Schüler (2004)

How children learn (1967; überarbeitete Ausgabe 1983)
deutsche Ausgaben u.d.T.: Wie Kinder lernen (1971) und Wie kleine Kinder schlau werden (2003)

The underachieving school (1969; überarbeitete Ausgabe 2005)

What do I do Monday? (1970)
deutsche Ausgaben u.d.T.: Wozu überhaupt Schule? (1975) und Kinder lernen selbständig oder gar nicht(s) (1999)

Freedom and beyond (1972)
deutsche Ausgabe u.d.T.: Freiheit ist mehr : von den Grenzen schulischer Erziehung (1974)

Escape from childhood : the needs and rights of children (1974)
deutsche Ausgabe u.d.T.: Zum Teufel mit der Kindheit (1978)

Instead of education : ways to help people do things better (1976, 2004)

Never too late : my musical life story (1978)

Teach your own (1981; von Patrick Farenga überarbeitete Ausgabe 2003)

Learning all the time (1989)

A life worth living : selected letters of John Holt (1990)