… Kinder lernen von Natur aus. Das einzige, worüber wir sicher sein können, absolut sicher, ist, dass Kinder den leidenschaftlichen Wunsch haben, so viel wie möglich von der Welt zu verstehen, selbst was sie nicht sehen oder anfassen können, und dass sie so weit wir möglich Fertigkeiten, Kompetenz und Kontrolle in ihr und über sie erlangen wollen. Dieser Wunsch, dieses Bedürfnis, die Welt zu verstehen und Dinge in ihr tun zu können, die Dinge, die große Leute tun, ist so stark, dass wir es regelrecht biologisch nennen können. Es ist in jeder Hinsicht so stark wie das Bedürfnis nach Nahrung, Wärme, Schutz, Trost, Schlaf und Liebe. Aus: Teach your own, 1981, S. 159 |
… Kinder sind von Natur aus pfiffig, voller Energie, neugierig,
begierig
zu lernen, und sie sind gut im Lernen; ... sie brauchen nicht bestochen
oder drangsaliert werden, um zu lernen: ... sie lernen am besten, wenn
sie glücklich, aktiv, involviert und daran interessiert sind, was
sie tun; ... sie lernen am wenigsten, oder gar nicht, wenn sie
gelangweilt
sind, bedroht oder erniedrigt werden oder wenn sie Angst haben.
Aus: Freedom and beyond, 1972, S. 2
Die einfach zu beobachtende Tatsache ist, dass Kinder mit
Leidenschaft
begierig sind, sich so viel wie möglich über die Welt um sie
herum zusammenzureimen, dass sie darin extrem gut sind, und dass sie es
wie Wissenschaftler tun, indem sie Wissen aus Erfahrung erzeugen.
Kinder
beobachten, stellen sich selbst Fragen und finden Antworten oder geben
sich welche und testen diese. Wenn sie nicht davon abgehalten werden,
diese
Dinge zu tun, fahren sie damit fort und werden immer besser darin.
Aus: Teach your own, 1981, S. 152
Echtes Lernen ist ein Prozess der Entdeckung, und wenn wir wollen,
dass
es stattfinden, müssen wir die Art von Voraussetzungen schaffen,
unter
denen Entdeckungen gemacht werden können. Wir wissen, welche
Voraussetzungen
dies sind. Dazu gehören Zeit, Muße, Freiheit und das
Ausbleiben
von Druck.
Aus: Teach your own, 1981, S. 100
Echtes Lernen – Lernen, das permanent und sinnvoll ist, dass zu
intelligenten
Aktionen und weiterem Lernen führt – kann nur aus der Erfahrung
und
dem Interesse des Lernenden hervorgehen.
Jedes Kind, ohne Ausnahme, hat einen angeborenen und unlöschbaren
Drang, die Welt zu verstehen, in der es lebt, und Freiheit und
Kompetenz
in ihr zu erlangen. Was auch immer wirklich sein Verständnis
stärkt,
seine Fähigkeit zu wachsen und Freude zu empfinden, seine
Kräfte,
seinen Sinn für seine eigene Freiheit, Würde und seinen Wert,
kann als echte Bildung bezeichnet werden.
Bildung ist etwas, dass eine Person für sich selbst erwirbt,
nicht,
was ein anderer ihm gibt und ihm antut.
Was junge Menschen brauchen und von ihrer Bildung erwarten ist: 1.
ein größeres Verständnis der Welt um sie herum; 2. eine
weitere Entwicklung ihrer selbst; 3. eine Möglichkeit, ihre
Aufgabe
zu finden, d.h. einen Weg zu finden, wie sie ihren eigenen
einzigartigen
Talente einsetzen können, um sich mit den wirklichen Problemen der
Welt um sie herum auseinander zu setzen und der Menschheit zu dienen.
Aus: The underachieving school, 1970, S. 3/4
Echte Bildung verlangt von uns … Vertrauen und Mut – Vertrauen
darin,
dass Kinder sich das Leben ergründen wollen und sich dabei
anstrengen
werden; Mut, Kinder dies tun zu lassen, ohne ständig zu stochern,
herumzuschnüffeln, zu stupsen und uns einzumischen.
Aus: The underachieving school, 1970, S. 70
Ein kleines Kind wird konfrontiert mit einer Welt, die im
Großen
und Ganzen, völlig unverständlich ist, nur ein
"blühendes,
surrendes Durcheinander". Aber es hat keine Angst vor diesem
Durcheinander.
... Es ist nicht nur fähig, sondern auch begierig, sich in diese
Welt
auszustrecken, die für es keinen Sinn ergibt, und sie aufzunehmen.
... Es ist bereit, Differenzen hinzunehmen, eine Beurteilung
aufzuschieben,
und zu warten, bis sich Muster abzeichnen, bis ihm die Erleuchtung
kommt.
Ich glaube, Kinder lernen eher durch einen Prozess der kontinuierlichen
Enthüllung als durch Analyse. Und tatsächlich sind die
traditionellen
Methoden des analytischen Denkens nutzlos, um Situationen von enormer
Komplexität
zu begegnen. Wenn man hundert Variablen hat, von denen keine unter
genauer
Kontrolle ist, wie kann man dann durch systematische, analytische
Prozesse
das Ganze organisieren? Das ist unmöglich, und die enorme
Stärke
des kindlichen Denkens liegt in der Tatsache, dass sie nicht versuchen,
dies zu tun. Sie begegnen, ja sie ziehen freudig und eifrig aus in
dieses
außergewöhnliche Durcheinander, in den Zweifel und die
Unsicherheit.
Sie nehmen es auf und warten, bis sich die Muster und
Ähnlichkeiten
und Regelmäßigkeiten dieser Welt abzeichnen. Das kleine Kind
tut ständig, was für uns so schwierig ist und was wir erst
lernen
müssen. Das kleine Kind erbaut beständig was ich gerne ein
mentales
Modell der Welt oder der Universums nenne, gleicht es mit der
Realität
ab, wie sie sich ihm präsentiert, zerstört es und baut es
wieder
auf, wenn nötig, und gleicht es wieder ab, zerstört es, baut
wieder auf, gleicht erneut ab. Es durchläuft diesen Prozess ich
weiß
nicht wie oft pro Jahr oder gar pro Tag, und es fürchtet sich
nicht,
dies zu tun.
Aus: The underachieving school, 1970, S. 178
Es ist immer, ohne Ausnahme, besser für ein Kind, etwas selbst
herauszufinden als etwas gesagt zu bekommen – vorausgesetzt
natürlich,
wie in dem Fall, wenn es einfach über die Straße rennt, dass
sein Leben bei dem Lernprozess nicht in Gefahr ist. Aber bei
intellektuellen
Angelegenheiten dulde ich keine Ausnahmen von dieser Regel. Erstens
wird
es sich besser erinnern, wenn es etwas selbst herausfindet. Zweitens,
und
das ist bei weitem wichtiger, gewinnt es jedes Mal, wenn es etwas
herausfindet,
an Vertrauen in seine Fähigkeiten, Dinge herauszufinden.
Aus: Teach your own, 1981, S. 138
Was Erwachsene für Kinder tun können, ist, ihnen mehr und
mehr von dieser Welt und den Menschen in ihr zugänglich und
transparent
zu machen. Das Schlüsselwort ist Zugang: zu Menschen, Orten,
Erfahrungen,
den Orten, an denen wir arbeiten, zu anderen Orten, wohin wir gehen –
Städte,
Länder, Strassen, Gebäude. Wir können auch Werkzeuge,
Bücher,
Aufnahmen, Spielzeuge und andere Quellen verfügbar machen.
Insgesamt
sind Kinder mehr an Dingen interessiert, die Erwachsene wirklich
benutzen
als an den kleinen Sachen, die wir speziell für sie kaufen.
Aus: Teach your own, 1981, S. 127
Mein Rat ist immer, die Interessen und Neigungen von Kindern
bestimmen
zu lassen, was passiert, und Kindern so viel Zugang wie möglich
zum
Leben ihrer Eltern und zu der Welt um sie herum zu verschaffen,
entsprechend
Ihren eigenen Umständen, damit die Kinder die
größtmögliche
Bandbreite von Dingen haben, die betrachten man kann und über die
man nachdenken kann. Schauen Sie, welche Dinge sie am meisten
interessieren,
und helfen Sie ihnen, diesen speziellen Weg einzuschlagen.
Aus: A conversation with John Holt (1980), published in “Mothering”
Kinder haben ihren eigenen Lernstil, jeder für sich
einzigartig.
Sie haben ebenso ihren eigenen Zeitplan, wann sie bereit sind, Dinge zu
tun, ihr eigenes Tempo, mit dem sie sie tun wollen, und Zeit, die sie
warten
wollen, bevor sie etwas Neues beginnen. Wenn wir versuchen, diese
Lernstile
und Zeitpläne zu steuern oder zu beeinflussen oder zu ändern,
erreichen wir fast immer, dass sie ihr Tempo verringern oder stoppen
sie.
Aus: Learning all the time, 1989, S. 133
Das Problem mit dem Ausdruck “Lernerfahrungen” ist, dass er
beinhaltet,
dass alle Erfahrungen ist zwei Kategorien eingeteilt werden
können,
die, von denen wir etwas lernen, und die, von denen wir nichts lernen.
Aber es gibt keine Erfahrungen, von denen wir nichts lernen. Wir lernen
etwas, von allem, was wir tun, und von allem, was uns passiert oder was
man mit uns macht. Was wir lernen, macht uns vielleicht schlauer oder
unwissender,
klüger oder dümmer, stärker oder schwächer, aber
wir
lernen immer etwas. Was es ist, hängt von der Erfahrung ab, und
vor
allem, was wir dabei fühlen.
Aus: Instead of education, 1976, S. 15/16
Kinder lernen von allem, was sie sehen. Sie lernen, wo auch immer
sie
sind, nicht nur an speziellen Lernorten. Sie lernen viel mehr von
Dingen,
natürlich oder hergestellt, die für sich genommen wirklich
und
bedeutsam in der Welt sind, und nicht einzig zu dem Zweck hergestellt,
Kinder beim Lernen zu unterstützen; mit anderen Worten, sie
interessieren
sich mehr für Objekte und Werkzeuge, die wir im regulären
Leben
benutzen als für beinahe alle speziellen Lernmaterialien, die
für
sie hergestellt werden. Wir können Kinder am besten beim Lernen
unterstützen,
nicht indem wir entscheiden, was sie unserer Meinung nach lernen
sollten,
und indem uns wir geniale Wege ausdenken, ihnen dies beizubringen,
sondern
indem wir ihnen die Welt, soweit wir können, zugänglich
machen,
ihren Aktivitäten ernsthafte Aufmerksamkeit schenken, ihre Fragen
beantworten – wenn sie welche haben – und ihnen helfen, die Dinge zu
erforschen,
die sie am meisten interessieren.
Aus: Learning all the time, 1989, S. 162
Ich will nicht, dass Kinder ihre gesamte Zeit an Orten verbringen
müssen,
die speziell für Kinder vorbereitet wurden, mit Menschen, die
speziell
ausgebildet sind, um sich um sie zu kümmern, unabhängig
davon,
wie nett diese Orte und Menschen sein mögen. Kinder brauchen viel
mehr als das – eine Gesellschaft, die offen, zugänglich, sichtbar
für all ihre Bürger ist, jung und alt, und in der jeder
Bürger,
wie jung oder alt auch immer er sein mag, das Recht hat, eine aktive,
ernsthafte,
verantwortliche und nützliche Rolle zu spielen.
Aus: Instead of education, 1976, S. 137
Es ist eine erst vor kurzem aufgekommene Vorstellung, und eine
verrückte
noch dazu, dass wir unseren jungen Menschen etwas über die Welt,
in
der sie leben, beibringen sollten, indem wir sie aus ihr entfernen und
sie in Ziegelsteinkästen einsperren.
Aus: The underachieving school, 1970, S. 30
Stellen Sie sich vor, ich reise mit einer Zeitkapsel in die Zukunft
und komme schließlich fünfhundert Jahre von hier in einer
intelligenten,
das Leben verbessernden und verfeinerten
Zivilisation an. Einer der Bewohner kommt mir zur Begrüßung
entgegen, führt mich herum und erklärt mir seine
Gesellschaft.
Irgendwann, nachdem er mir gezeigt hat, wo die Leute
wohnen, arbeiten, spielen, frage ich ihn: „Aber wo sind denn Ihre
Schulen?“
“Schulen? Was sind Schulen?“ erwidert er.
“Schulen sind Orte, wo die Menschen hingehen, um etwas zu lernen.“
“Ich verstehe nicht“, sagt er, „man kann überall lernen, an jedem
Ort.“
“Das weiß ich“, sage ich, „aber eine Schule ist ein besonderer
Ort mit speziellen Menschen, die einem Dinge beibringen und die einem
helfen,
Dinge zu lernen.“
“Es tut mir leid, aber ich verstehe immer noch nicht. Jeder hilft
anderen,
Dinge zu lernen. Jeder, der etwas weiß oder kann, kann einem
anderen
helfen, der mehr darüber lernen will.
Warum sollte es dafür spezielle Menschen geben?“
Und so sehr ich mich auch bemühe, ich kann ihm nicht klarmachen,
warum wir meinen, dass Bildung und Lernen vom restlichen Leben getrennt
sein sollte, ja getrennt sein muss.
Aus: Freedom and beyond, 1972, S. 117
… es kommt häufig vor, dass jemand sagt, normalerweise mit
erboster
Stimme: “Lernen kann nicht immer Spaß machen!“ (Was sie
normalerweise
damit meinen ist “Lernen kann nie Spaß machen, sonst ist es nicht
wirklich Lernen.“) Das ist ein großer Irrtum. Dinge
herauszufinden,
Probleme zu lösen, macht genauso viel Spaß wie andere Dinge,
die wir Menschen tun. Was Vergnügen und Aufregung angeht, gibt es
fast nichts, das besser ist, und wenige Dinge sind ebenbürtig.
Aus: Teach your own, 1981, S. 83
Ich mag es, wenn meine Freunde mir von Sachen erzählen, die sie
interessieren und über die ich nichts weiß – das ist Teil
jeder
guten Unterhaltung. Ich bin jedoch nicht gerne mit Menschen zusammen,
die
sich so verhalten und so reden als sei es ihre Lebensaufgabe, mich zu
bilden,
deren Verhältnis zu mir immer das eines Lehrers zu einem
Schüler
ist. Wenn Ihre Kinder klein genug sind, ist beinahe alles, was Sie
sagen,
faszinierend. Aber wenn sie etwas älter werden, werden sie sehr
bewusst
wahrnehmen, wie Sie mit erwachsenen Freunden reden, und sie werden es
nicht
mögen, wenn Sie eine Art haben, um mit Freunden zu sprechen, und
eine
andere, eher lehrerhafte Art, wenn Sie mit den Kindern sprechen.
Aus: Teach your own, 1981, S. 146
Unerbetenes Lehren führt nicht nur nicht zu Lernen, sondern –
und
das war noch schwerer für mich zu lernen – meistens verhindert
solches
Lehren sogar das Lernen. Nun das war ein großer Schock. In 99%
der
Fälle hat Unterricht, um den nicht gebeten wurde, kein Lernen zur
Folge, sondern er wird das Lernen verhindern.
Aus: Teach your own, 1981, S. 128
Jedes Mal, wenn wir versuchen, jemand anderem etwas beizubringen,
ohne
dass wir dazu aufgefordert oder darum gebeten wurden, übermitteln
wir dieser Person, ob wir es wissen oder nicht, eine doppelte
Botschaft.
Der erste Teil der Botschaft ist: ich bringe Dir etwas Wichtiges bei,
aber
Du bist nicht schlau genug, zu sehen, wie wichtig es ist. Wenn ich es
Dir
nicht beibringen würde, würdest Du Dir wahrscheinlich nie die
Mühe machen, es herauszufinden. Die zweite Botschaft, die
unaufgefordertes
Lehren der anderen Person übermittelt, ist: was ich Dir beibringe
ist so schwierig, das Du es niemals lernen könntest, wenn ich es
Dir
nicht beibringen würde.
Diese doppelte Botschaft von Misstrauen und Geringschätzung wird
sehr deutlich von Kindern verstanden, weil sie außerordentlich
gut
im Empfangen von emotionalen Botschaften sind. Es macht sie
wütend.
Und warum sollte es auch nicht? Alles unaufgeforderte Lehren
enthält
diese Botschaft von Misstrauen und Geringschätzung.
Aus: Teach your own, 1981, S. 129
… die Idee des Renaissance-Menschen, der einen signifikanten Teil
des
Weltwissens in seinem Geist umfasst, ist hinfällig. Dies ist nicht
möglich. Wir können nur einen winzigen Teil der Summe der
menschlichen
Wissens beherrschen. Wir alle sind, unabhängig davon, wie hart wir
arbeiten, unabhängig davon, wie neugierig wir sind, dazu
verurteilt,
relativ gesehen täglich unwissender zu werden, immer weniger von
der
Summe des gesamten Wissens zu kennen.
Aus: The underachieving school, 1970, S. 174/175
Die Erwachsenen sagen: “Und was ist, wenn sie etwas nicht lernen,
was
sie später brauchen werden?” Die Zeit, etwas zu lernen, ist in dem
Moment, wo man es braucht; niemand kann wissen, was er in Zukunft wird
lernen müssen; ein Großteil des Wissens, das wir in 20
Jahren
brauchen werden, existiert heute vielleicht noch gar nicht.
Aus: The underachieving school, 1970, S. 33/34
Selbstverständlich weiß ein Kind vielleicht nicht,
welches
Wissen es in zehn Jahren brauchen wird (wer weiß das schon?),
aber
es weiß, und wesentlich besser als irgendjemand sonst, was es
jetzt
wissen möchte und muss, wofür es aufnahmebereit ist und
wonach
sein Verstand strebt. Wenn wir ihm helfen, oder ihm nur erlauben, dies
zu lernen, wird er es behalten, es benutzen und darauf aufbauen
können.
Wenn wir versuchen, ihm etwas anderes beizubringen, von dem wir
glauben,
dass es wichtiger ist, sind die Chancen groß, dass es nichts
lernen
wird, oder nur einen kleinen Bruchteil, dass es bald das meiste
vergessen
wird, was es gelernt hat, und was am schlimmsten ist: es wird binnen
kurzem
den Appetit verlieren, irgendetwas zu lernen.
Aus: Teach your own, 1981, S. 60
Manchmal werde ich gefragt, oft von Menschen, die eine
naturwissenschaftliche
Ausbildung haben: “Verlangen Sie nicht von jedem Kind, dass es das Rad
aufs Neue erfindet?“ Das letzte Mal, als mir diese Frage gestellt
wurde,
was ich in einer High School in Connecticut, und das Mann, mit dem ich
sprach, und ich standen in der Eingangshalle der Schule und schauten
durch
große Glastüren auf den Schulparkplatz hinaus, in dem
ungefähr
50 Fahrzeuge mit jeweils vier sichtbaren Rädern standen. Ich
zeigte
nach draußen und sagte: „Sie brauchen das Rad nicht zu erfinden,
es ist schon erfunden worden, es ist dort draußen, sie werden es
bemerken.“ Welche Regelmäßigkeiten, Muster, Strukturen und
so
weiter auch immer in unserer Gesellschaft existieren, können und
werden
von den Menschen, die in ihr leben entdeckt werden.
Aus: The underachieving school, 1970, S. 190
Über das Üben
Ich finde, wir sollte das Wort abschaffen. Es macht nur
Schwierigkeiten.
Ein Vater hat mir einmal erzählt, dass seine Tochter gerne Geige
spielt,
aber sie hasst das Üben. Warum müssen wir von “Üben“
sprechen?
Warum sprechen wir nicht einfach von Geige spielen?
Aus: Learning all the time, 1989, S. 111
Ein weitere verbreitete und irrige Auffassung, die sich in dem Wort
“Lernen“ versteckt, ist, dass Lernen und Tun unterschiedliche
Tätigkeiten
sind. So begann ich vor wenigen Jahren, Cello zu spielen. Ich lieve das
Instrument, verbringe viele Stunden damit, es zu spiele, arbeite hart
daran
und beabsichtige, es irgendwann gut zu beherrschen. Die meisten Leute
würden
das, was ich tun, als “Cello spielen lernen“ bezeichnen. Unsere Sprache
bietet uns keine anderen Worte an, dies auszudrücken. Aber diese
Worte
vermitteln uns den seltsamen Eindruck, dass hier zwei unterschiedliche
Prozesse ablaufen: (1) Cello spielen lernen; und (2) Cello spielen. Sie
implizieren, dass ich zunächst das eine tun werde, bis ich es
abgeschlossen
habe. Zu diesem Zeitpunkt endet der erste Prozess und das zweite
beginnt.
Kurz gesagt, ich werde so lange “spielen lernen“ bis ich “spielen
gelernt
habe“, und dann kann ich anfangen “zu spielen“.
Natürlich ist das Unsinn. Es gibt keine zwei Prozesse, sondern
nur einen. Wir lernen, etwas zu tun, indem wir es tun. Es gibt keinen
anderen
Weg. Wenn wir anfangen, etwas zu tun, werden wir es vermutlich nicht
gut
tun. Aber wenn wir nicht aufhören, es zu tun, wenn uns gute
Vorbilder
und im Bedarfsfall hilfreicher Rat zur Verfügung stehen, und wenn
wir es immer so gut tun, wie wir können, dann werden wir besser.
Mit
der
Zeit werden wir es eventuell sehr gut tun. Dieser Prozess endet nie.
Die
besten Musiker, Tänzer, Athleten, chirurgen, Piloten, oder was
auch
immer sie tun, müssen permanent ihre Kunst bzw. ihr Handwerk
trainieren.
Musiker spielen jeden Tag ihre Tonleitern, Tänzer trainieren an
der
Stange, und so weiter. Ein Chirurg, den ich kannte, machte von Zeit zu
Zeit, wenn er nichts zu tun hatte, einhändig Knoten in
chirurgisches
Garn ohne hinzuschauen, nur um nicht aus der Übung zu kommen. In
diesem
Sinnen hört man nie auf zu “lernen, etwas zu tun“, selbst wenn man
es kann und unabhängig davon, wie gut man es kann. Man muss jeden
Tag “lernen“, es so gut zu tun, wie man kann, oder man wird es bald
weniger
gut tun. Der 1. Flötist des Bostoner Symphonyorchesters unter
Koussevitsky
pflegte zu sagen: “Wenn ich einen Tag nicht zur Probe komme, höre
ich den Unterschied; wenn ich zwei Tage die Probe verpasse, hört
es
der Dirigent; wenn ich sie drei Tag verpasse, hört das Publikum
den
Unterschied.“
Aus: Instead of education, 1976, S. 17/18
Junge Menschen lernen nicht, wie (zum Beispiel) Töpferwaren
hergestellt
werden, indem sie darüber lesen, sondern indem sie töpfern.
Keine
Frage. Aber in der Schule zu töpfern nur damit man lernt, wie es
geht,
ist gar nichts im Vergleich dazu, Töpferwaren herzustellen (und es
dabei zu lernen), weil jemand diese Töpferwaren braucht. Der beste
Anreiz zu lernen, wie man eine Arbeit gut verrichtet, und dies auch zu
tun, ist zu wissen, dass diese Arbeit getan werden muss, dass sie von
echtem
Nutzen für jemanden sein wird.
Aus: Teach your own, 1981, S. 74
… Kinder bewegen sich in großen Sprüngen in die Welt
hinein,
Phasen der Entdeckung und der Aktivität wechseln sich ab mit
langen
Perioden der Besinnung.
Aus: Instead of education, 1976, S. 105
Was Freunde angeht – Sie werden Ihre Kinder nicht zu Hause
einschließen.
Ich denke, dass es um ein Zehnfaches wahrscheinlicher ist, dass die
sozialisierenden
Aspekte der Schule Schaden anrichten, als dass sie hilfreich sind. Die
menschlichen Tugenden – Freundlichkeit, Geduld,
Großzügigkeit,
etc. lernen Kinder in engen Beziehungen, vielleicht in Gruppen von zwei
oder drei. Insgesamt verhalten sich Menschen in großen Gruppen,
wie
man sie in der Schule vorfindet, schlechter. Sie lernen dort etwas
anderes
– Popularität, Konformismus, Schikanieren, Hänseln, solche
Dinge.
Sie können nach Schulschluss Freunde finden, im Urlaub, in der
Bücherei,
in der Kirche.
Aus: A conversation with John Holt (1980), veröffentlicht in
“Mothering”
How
children fail (1964; überarbeitete Ausgabe 1982)
deutsche Ausgabe u.d.T.: Chancen für unsere Schulversager
(1969) und Aus
schlauen Kindern werden Schüler (2004)
How
children learn (1967; überarbeitete Ausgabe 1983)
deutsche Ausgaben u.d.T.: Wie Kinder lernen (1971) und Wie
kleine Kinder schlau werden (2003)
The underachieving
school (1969;
überarbeitete Ausgabe 2005)
What do I do Monday?
(1970)
deutsche Ausgaben u.d.T.: Wozu überhaupt Schule? (1975)
und Kinder
lernen selbständig oder gar nicht(s) (1999)
Freedom and beyond (1972)
deutsche Ausgabe u.d.T.: Freiheit ist mehr : von den Grenzen
schulischer
Erziehung (1974)
Escape from childhood :
the needs and rights of children
(1974)
deutsche Ausgabe u.d.T.: Zum Teufel mit der Kindheit (1978)
Instead of education : ways to help
people do things better
(1976, 2004)
Never too late : my musical
life story (1978)
Teach your own
(1981; von Patrick Farenga überarbeitete Ausgabe 2003)
Learning all the time (1989)