Fremdsprachen lernen

von Karen Kern

Mir wird immer wieder die Frage gestellt, wie denn dieses selbstbestimmte und selbständige Lernen funktioniert. Wenn ich dann über das selbständige Erarbeiten des Lesens und Schreibens - und die vielen verschiedenen Wege wie Kinder sich das in kürzerer oder längerer Zeit erarbeiten - erzähle, können sich viele Erwachsene vorstellen, dass dies funktionieren kann. Als nächstes kommt dann die Frage nach dem Rechnen und der Mathematik, aber auch hier können sich die Menschen durch geschilderte Beispiele bald auch vorstellen wie es gehen kann. Als letztes kommt dann aber immer die Frage-Feststellung: Aber die Fremdsprachen, die kann man doch auf keinen Fall so lernen. Da braucht es doch einen Lehrer.

In unserer Familie ist Sprachen lernen fast immer ein Thema gewesen und es war bei fast allen der Wunsch da, sich auch in anderen Sprachen ausdrücken und unterhalten zu können. Einer meiner Brüder lebt seit Jahren in England, der andere hat jahrelang in den Niederlanden gewohnt und so war die Konfrontation mit anderen Sprachen schon sehr früh bei meinen Söhnen und Töchtern da. Meine beiden Töchter (beide sind in die Schule gegangen) haben sich dafür entschieden ins Ausland zu gehen, die eine mit siebzehn nach Malaysia und die andere nach dem Abitur mit achtzehn nach Norwegen, um dort wirklich intensiv im Land selbst die Sprache zu lernen. Sie haben beide ähnliche Erfahrungen gemacht. Es dauerte etwa ein viertel bis ein halbes Jahr, bis sie sich gut in der Sprache zurechtfanden. Beide haben in diesem Auslandsjahr nicht nur die Landessprache sondern auch noch sehr gut englisch sprechen gelernt; da hatten sie zwar Grundlagen durch die Schule aber ein wirkliches Zurechtfinden war damit noch nicht möglich. Hannah hat nach diesem Jahr sogar in einem Seminar die Übersetzung von Englisch in Deutsch und umgekehrt übernommen und dies wirklich gut gemacht.

Malchus ging bis zum Anfang der sechsten Klasse in die Schule und hatte dort ein Jahr Englisch. Seit er nicht mehr zur Schule geht ist eine seiner Hauptinteressen diese Sprache. Anfangs hat er sich englische Lieder, die er hörte, übersetzt. In dieser Zeit hat er sogar richtige Wörterbücher angelegt, mit den Wörtern, die er noch nicht konnte. Allerdings hat er damit nicht so gearbeitet, wie es in der Schule üblich war, dass er sie anhand dieser Listen auswendig lernte. Es war mehr so ein Sammeln von Wörtern, die er noch nicht kannte. Wir als Familie haben in diesen Jahren intensiv Kontakt in die verschiedenen anderen Länder hergestellt, vor allem in englischsprachige Länder. So fing Malchus an, nach und nach mit verschiedenen Jugendlichen aus Israel und England in e-Mail-Kontakt zu treten,. Wir bekamen englischen Besuch, der kein deutsch sprach und dann wurde ein oder zwei Wochen lang nur englisch gesprochen. Später kamen regelmäßige Workshops und Treffen dazu, an denen oft die ganze Familie teilnahm, auf denen die Hauptsprache englisch war. Außerdem hat er ziemlich schnell angefangen englische Bücher wie Harry Potter zu lesen. Eine Zeit lang hat er selber englische Lieder und Gedichte geschrieben. Im ganzen gesehen hat er sich in den letzten vier Jahren nicht regelmäßig damit beschäftigt, aber immer wieder mal sehr intensiv und mittlerweile spricht er jetzt mit fünfzehn Jahren so gut, dass er auf der International Democratic Education Conference, an der wir diesen Sommer teilgenommen haben, gefragt wurde, ob er englischer Muttersprachler sei.

Josias, sein jüngerer Bruder, hat sich lang nicht so intensiv mit englisch beschäftigt, aber für ihn werden Sprachen auch immer wichtiger. Er lernt englisch vorwiegend über das Spielen mit Magic Karten, über englische Computerspiele, englische Filme und die Gespräche mit den verschiedenen Menschen bei den Treffen, die wir besuchten oder mit unseren Besuchen. Auch er kann sich mittlerweile verständlich machen und vieles verstehen.

Wenn ich die Menschen frage, wie es denn mit ihren Sprachkenntnissen so steht, kommt von vielen, dass sie auf der Schule eigentlich nicht viel gelernt haben. Diejenigen, die sich gut in einer oder mehreren Sprachen zurechtfinden, haben diese oft erst nach ihrer Schulzeit gelernt und dann auch oft im jeweiligen Land. In der Regel war es ein großes Interesse, die jeweilige Sprache zu lernen, bzw. eine berufliche oder andere Notwendigkeit. Vielen ging es wie mir persönlich, dass das schulische Sprachen lernen eher hemmend war. Mir wurde in der Schule vermittelt, dass ich sowieso nicht fähig dazu sei eine Sprache zu lernen und ich habe jahrelang unter dem Druck gelitten, dass ich, wenn ich etwas sage, es dann richtig sagen muss und daher habe ich dann eben gar nichts mehr gesprochen, da ich es sowieso nicht richtig herausgebracht habe. Erst in den letzten Jahren habe ich diese Barriere überwinden können und einfach angefangen zu reden, egal wie. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich schon die Rückmeldung von meinem Gegenüber bekomme, ob ich verstanden wurde oder nicht und dann versuche ich es einfach nochmal. Meistens klappt dann die Verständigung.


© Karen Kern, 2005