Sparen Sie sich die Wut, lieben Sie das Kind
von Naomi Aldort

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Frage: Ich verliere oft meiner Tochter gegenüber die Nerven. Gestern hat sie Farbe auf den Teppich tropfen lassen als sie gemalt hat. Ich habe sie angeschrieen und es entwickelte sich zu einem großen Drama. Wie kann ich verhindern, dass ich auf sie losgehe, wenn sie Schaden anrichtet?

Antwort: Die Art, wie Sie sich emotional ausdrücken, ist der "Lehrplan" Ihrer Tochter für Beziehungen. Sie möchte lernen, wie man angesichts von Unglücken stark und einfallsreich reagiert anstatt kontrollierend. Sie hat das Glück, mit Eltern zusammen zu leben, die es anstreben, eine solche emotionale Kompetenz vorzuleben. Wut entsteht dadurch, dass unser Verstand vergangene Schmerzen zum Vorschein kommen lässt. Wenn Sie keine Vergangenheit hätten, würden Sie überhaupt keine Wut verspüren, weil es keinen Auslöser gäbe. Wenn Sie lernen, Ihre Wut sanft aufzulösen, bleibt nur Ihre Liebe übrig, egal was passiert. Wenn wir wütend sind, fühlen die meisten von uns einen intensiven Schmerz, weil wir uns als hilflos sehen angesichts dessen, was passiert ist (das mit einer früheren Erfahrung vergleichbar ist). Dies bringt einen Teufelskreis in Gang: wir suchen einen Schuldigen, weil wir uns hilflos fühlen, und Schuldzuweisungen führen dazu, dass man sich wieder hilflos fühlt. So erfahren wir nicht nur keine Linderung unserer Wut, sondern sie wird in Wahrheit noch weiter angefacht; wenn wir uns als hilflose Opfer sehen, toben wir. Wir können die Wut nicht hinter uns lassen, weil wir recht haben wollen, dass wir hilflos sind (Du hat mir das angetan) und wir möchten gerne die Kontrolle haben (tu' jetzt, was ich will).

Um Erleichterung zu finden, müssen Sie zunächst realisieren, dass niemand Wut in Ihnen hervorrufen kann; wenn Sie fühlen, dass die Macht über Ihre Wut bei Ihnen selbst liegt, dann sind Sie auch diejenige, die die Macht hat, sie aufzulösen. Der fleckige Teppich ist Wirklichkeit, aber Sie allein sind der Urheber Ihrer Antwort darauf. Sie machen der Erdanziehungskraft keine Vorwürfe, wenn ein Teller zerbricht, oder dem Glatteis, wenn Sie auf der Strasse ausrutschen. Ihre Tochter ist, wie sie ist; sie tut Dinge für sich. Sie hat Sie nicht wütend gemacht; das haben Sie selbst getan. Wenn Sie ihr die Schuld dafür geben, wie Sie sich fühlen, übertragen Sie ihr die Macht über Ihre Gefühle und Ihr Verhalten und sind Vorbild für die Rolle des hilflosen Opfers. Die Macht über Ihre Gefühle zu haben ist für das Kind Furcht erregend und verwirrend, so dass es ihm unmöglich ist, Ihre tatsächliche Bitte zu hören.

Die meisten von uns hatten vor der Wut unserer Eltern genau so viel Angst wie vor Bestrafung. Die Neigung, Ihr Kind mit Ihrer Wut einschüchtern zu wollen, entsteht auf natürliche Weise aus solchen Erfahrungen und ist daher schwer zu ändern. Um sich selbst zu helfen, müssen Sie unterscheiden zwischen Ihren Gefühlen und dem, was Sie als Wahrheit ansehen; das Gefühl der Wut gibt Ihnen nicht Recht, es macht sie nur wütend. Ihre Tochter ist traurig, weil Sie Ihre Gefühle als Wahrheit empfindet und nicht als Ihr Drama. 'Mami ist frustriert.' (ein Gefühl, das von Wut verschleiert wird) wäre nicht bedrohlich, wenn es nicht stillschweigend implizieren würde: 'Ich bin böse und nicht wert, geliebt zu werden. Ich habe Ihr Leid verursacht.' Folgendes können Sie tun, um zu verhindern, dass Sie Wut mit der Wahrheit zu verstricken:

A) Lassen Sie Ihrer Wut innerlich freien Lauf:

Stellen Sie sich Ihren Kopf als Computer vor; wenn Sie wütend sind, öffnet sich automatisch ein altes "Fenster", in dem steht: "Nein! Hör auf damit! Wie oft muss ich Dir noch sagen..." und schlimmer. Das spielt sich in Ihrem Kopf ab und hat nichts mit dem Kind zu tun, dennoch werden Sie in die Irre geführt und dazu verleitet zu denken, dass es mit ihm zu tun hat. Die meisten Menschen "lesen" die Worte, die in diesem "Fenster" erscheinen laut vor, und von da an geht es bergab. "Lesen" Sie diese Worte nicht laut vor, denn sonst hört Ihr Kind das falsche "Fenster" und das Problem wird verschlimmert. Lesen Sie es leise in Ihrem Kopf. Es dauert weniger als eine Minute, um den ganzen "Film" in Ihrem Kopf abzuspielen – Worte und Taten; schreien Sie, bestrafen und beschuldigen Sie so viel Ihr Herz begehrt, während Sie Ihr eigener wohlwollender Beobachter sind. Es wird vorbeigehen. Wie Schweiß oder Tränen - es muss heraus, aber man muss auch darüber hinwegkommen. Wenn Sie fertig sind, löschen Sie das Fenster. Wenn Sie zu diesem Zeitpunkt ausreichend Erleichterung gefunden haben, können Sie den nächsten Schritt überspringen und direkt zur Problemlösung übergehen. Wenn nicht, nehmen Sie sich eine weitere halbe Minute für einen Notausbruch Ihrer Gefühle:

B) Nehmen Sie Ihre primären Gefühle wahr:

Konzentrieren Sie sich darauf, wie Sie sich fühlen, anstatt darauf, wer im Unrecht ist, und Sie werden vermutlich die Gefühle entdecken, die Ihre Wut verschleiert. Wut führt Sie fort von Ihren verletzlicheren Gefühlen, weil Sie sich auf die andere Person konzentrieren. Wenn Sie sich wie in Ihrem Beispiel auf die "Missetat" Ihres Kindes konzentrieren, überdecken Sie damit vielleicht Ihre eigenes Unbehagen im Hinblick auf Ungeschicktheit, Ihre Angst bezüglich der Art, wie Ihre Eltern auf Ihre Fehler reagiert haben, oder möglicherweise die Sorge, was die Leute über das Verhalten Ihrer Tochter oder die Sauberkeit Ihres Hauses sagen werden. Oft kann es ausreichen zu beobachten, was in Ihrem Kopf vorgeht, und Sie werden es auflösen können. Es bedarf einer Menge Erfahrung, den Besitz an Ihrem Ärger auszudrücken, weil Wut von Natur aus jemanden beschuldigen möchte, seien Sie also geduldig mit sich selbst. Zu Beginn werden Sie sich nach oder mitten in Ihrer Wut erwischen und müssen einen neuen Versuch starten, aber mit ein bisschen Übung lernen Sie, sich früher zu erwischen, bis Sie den Ausbruch komplett verhindern können.

C) Sich mit der aktuellen Situation befassen:

Nachdem Sie Ihrer ersten Reaktion intern Ausdruck gegeben haben, merken Sie vielleicht, dass Sie gar nichts sagen oder tun müssen und dass Sie die Handlungen Ihres Kindes akzeptieren und unterstützen können. Wenn die Absichten des Kindes mit dem Wohlsein und den Rechten anderer kollidiert, braucht es Information, Bestätigung seiner Absichten und produktive Lösungen:

Den Teppich zu reinigen und das Kunstwerk an einen anderen Ort zu schaffen kann fröhlich vonstatten gehen anstatt mit Wut. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit von der Schuldzuweisung weg zur Problemlösung lenken, löst sich der größte Teil der Wut auf und macht Freude und produktiven Lösungen Platz.
 

© Copyright Naomi Aldort
 

Ursprünglich veröffentlicht in "Life Learning : the International Magazine of Self-Directed Learning", Juli/August 2003, ISSN 1499-7533, S. 23-24.

Aus dem Amerikanischen übertragen von S. Mohsennia.
 

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